Fragen & Antworten


- FRAGE: "Was sind die wesentlichen Aspekte, die Schematherapie (ST) von anderen Formen der Psychotherapie unterscheiden?" Antwort von J. Young
Der grundlegendste Unterschied zu anderen Therapieformen ist, dass die ST wirklich integrativ ist (engl. „truly integrative“). Jedes Therapiemodell hat seine Stärken, aber die meisten Therapieformen nutzen im Wesentlichen nur ein oder zwei Modalitäten. ST ist breiter, sowohl konzeptuell als auch bei dem Einsatz von Techniken. Vergleicht man ST mit der Psychoanalyse, geht ST ebenso „tief“ und fokussiert auf Gedanken und Gefühle außerhalb des aktuellen Bewusstseins, aber sie geht dabei viel aktiver vor und nutzt und setzt verschiedene Techniken ein. ST geht bei der Einschätzung der Patienten strukturierter vor und führt den Therapeuten gezielt zu den zentralen Themen. Der typische Analytiker verhält sich viel distanzierter und deutet Bedürfnisse, während die sog. begrenzte elterliche Fürsorge in der ST viele Bedürfnisse erfüllt. Wenn wir auf die Unterschiede im Vergleich zur Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) schauen, ist es fast umgekehrt: Beides sind sehr aktive Therapien, aber die KVT ist überwiegend „rational“ orientiert und versucht letztlich den Patienten zu helfen, von ihren negativen Gefühlen wegzukommen bzw. diese zu unterdrücken. In einer Langzeit-Schematherapie versuchen wir dagegen, in den Sitzungen gezielt Emotionen zu aktivieren und zu verstehen, woher sie kommen. ST geht dabei viel „tiefer“ als KVT: Was in der KVT „Grundannahme“ genannt wird, ist bei weitem nicht so grundlegend und umfassend wie das, was wir ein Schema nennen. Unsere ganze Betonung der Grundbedürfnisse kommt aus der Bindungstheorie und unterscheidet sich deutlich vom Konzept der KVT. In meinen Augen hat die ST ein Entwicklungsmodell und die KVT nicht.
- FRAGE: "Welche Rolle haben persönliche Lebenserfahrungen von dir bei der Entwicklung der ST?" Antwort von J. Young
Eine dramatische! Der Knackpunkt war, als ich in der Zeit der Arbeit mit Dr. Beck selbst Probleme hatte. Ich ging zu einem sehr guten kognitiven Therapeuten, kam meinen Gefühlen von Einsamkeit und den Beziehungsproblemen aber nicht wirklich auf den Grund. Einer meiner Freunde, der jetzt auch Schematherapeut ist, erzählte mir von seinem tollen Gestalttherapeuten, der ihm wirklich weiterhelfe. Also ging ich da hin und nach 10 Gestalttherapiesitzungen hatte ich mehr über mich erfahren als in einem Jahr mit dem kognitiven Therapeuten. Dadurch erkannte ich, dass die meisten von uns untergründig Themen haben, die uns nicht bewusst sind. Wenn wir es mit Intimität oder Beziehungsproblemen zu tun haben, geht das sehr tief und die meisten von uns haben kein Bewusstsein, warum wir diese Probleme haben oder wie wir sie lösen könnten. Das ist meiner Meinung nach der Grund, warum die Kognitive Therapie bei charakterologischen Problemen nicht wirklich weiterkommt.
- FRAGE: "Welche anderen Faktoren haben die Entwicklung der ST beeinflusst?" Antwort von J. Young
Unter Veränderungsaspekten war ich mit der Gestalttherapie nicht zufrieden. Ein wichtiger Einfluss war das Buch „Cognitive processes and emotional disorder“ von Giudano und Liotti*. Dieses Buch war für viele kognitive Therapeuten bedeutsam, die ihren Blickwinkel erweitern wollten. Das war ein theoretischer Aspekt, warum ich mich von der traditionellen KVT abwendete. Als ich mich in meiner Praxis niederließ, hatte ich außerdem viele Langzeitpatienten, die nicht wegen Achse-1-Störungen kamen. Bei denen war die KVT viel weniger effektiv als ich das von Beck´s Center kannte, wo wir fast nur depressive Patienten in Forschungsstudien sahen. Wenn sich die Therapieziele von der Symptomreduktion verlagern hin zur Verbesserung der Lebensqualität, Beziehungsverbesserung, grundlegenden Persönlichkeits- und Lebensveränderung, können wir mit KVT-Konzepten meiner Meinung nach diese tiefergehenden Probleme nicht verstehen und verändern.
- FRAGE: "Unter welchen Bedingungen kann ein psychodynamisch ausgebildeter Therapeut ein lizensierter Schematherapeut werden?" Antwort von J. Young
Jeder, der zu uns ins Training kommt, muss das Gefühl haben, dass das, was er bisher getan hat, irgendwie nicht ausreichend funktioniert. Wir haben gerade ein oder zwei ausgebildete Psychoanalytiker in unserem Trainingsprogramm. Ich denke, die Grundvoraussetzung ist, dass sie unzufrieden mit der Psychoanalyse waren und aktiver und veränderungsorientierter werden wollten. Ein anderer Punkt ist der Willen, den Patienten näher zu kommen. Im Konzept der Neutralität drückt sich das Bedürfnis nach Distanz zum Patienten aus und viele wählen die Psychoanalyse gerade aus diesem Grund. Ideal ist also, wenn in einem Analytiker der Wunsch nach mehr Nähe zum Patienten entsteht, und er sich durch das Neutralitätskonzept eingeengt fühlt. Für ihn wird die ST wie eine Prise frischer Luft sein, die ihm erlaubt, so zu arbeiten, wie er immer wollte. Diese Analytiker können tatsächlich ausgezeichnete Schematherapeuten werden, auch ohne vorheriges KVT-Training. Ich möchte betonen, dass ein KVT-Hintergrund ein großer Vorteil ist, aber andererseits sind kognitive Therapeuten oft nicht daran gewöhnt, auf untergründige Themen, Lebensgeschichten und Entwicklungsmuster zu achten. Es ist für Analytiker sicher schwerer zu wechseln, aber es ist definitiv möglich.
- FRAGE: "Welche Patienten profitieren von einer Schematherapie?" Antwort von J. Young
Ich denke, dass jeder Patient, bei dem zumindest bei einem Teil seiner Probleme die Ursachen in der Kindheit liegen, und bei dem die aktuellen Probleme mit wiederholt auftretenden, negativen Lebensmustern zusammenhängen, von einer ST profitiert. Aus meiner Sicht trifft das bei mindestens 90 % der Patienten zu, die wir in unserem Zentrum sehen. Es hängt sicher von der Klientel ab, die man behandelt, aber meiner Erfahrung nach kommen nur sehr wenige Patienten mit einer reinen Achse-1-Störung.
- FRAGE: "Hast du eine persönliche Botschaft für Schematherapeuten in Ausbildung?" Antwort von J. Young
Erstens finde ich es aufregend und stimulierend, jeden neuen Patienten als eine einmalige Herausforderung zu betrachten, nicht als eine Diagnose oder Störung oder jemanden, der in unseren vorgeschriebenen Therapieablauf zu passen hat. Zweitens musst du wirklich sehr hart arbeiten und flexibel verschiedene Strategien einsetzen, um die Patienten in Veränderungsprozesse „hinein zu schubsen“. Gib nicht auf und lasse die Dinge laufen! Und drittens verliere nie die therapeutische Beziehung aus den Augen, denn ohne eine gute Beziehung wird keine Schematherapie laufen, egal was du sonst noch machst.

 

Jeffrey Young, Begründer der Schematherapie, wurde am 30.12.2008 von Eckhard Roediger interviewt. Sie finden hier einen kleinen Auszug davon. Das gesamte Transkript ist nachzulesen im Buch "Fortschritte der Schematherapie" 

 

Abkürzungen:

ST...Schematherapie 

KVT...Kognitive Verhaltenstherapie